Raketenflugplatz-Berlin
Friedrich-Wilhelm Sander
Geboren am 25. August 1885 in Glanz in Schlesien, ist
Friedrich-Wilhelm Sander ein vergessener deutscher Pionier
der Raumfahrt.
Nach der Schule machte Sander eine technische Ausbildung
und wurde nach dem Besuch einer Technischen Hochschule
Ingenieur. Anstellungen bei verschiedenen Maschinenfabriken
folgten.
1920 erwarb Sander die Fabrik Cordes in Wesermünde. Hier
wurden Pulverraketen und Signalraketen für seemännische
Zwecke hergestellt. Nach manchen Quellen war er schon vor
dem Ersten Weltkrieg beratend für Cordes tätig gewesen. Hier
begann sich Sander mit der Wirkungsweise und schließlich mit
der Verbesserung der Cordes-Pulverraketen zu befassen. Auf
Bitte der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger entwickelte
Sander eine neue Leinenwurfrakete mit verbesserter Pulver-
ladung höheren Wirkungsgrades.
Oben: Sanders Leinenwurfraketen im Transportbehälter. In
den Stahlkopf wurde der Pulvertreibsatz von unten ein-
geschoben, danach der Dreizack angeschraubt, an dem
der hölzerne Leitstab mit Kette und Leine befestigt war.
Dieser Aufbau mit Antrieb oben und das Ausblasen des
Triebwerks über eine Gabel wurde später vom Raketen-
flugplatz als Vorbild für den Einstab-Repulsor genommen.
Hier wurde der Holzstab dann durch einen Rohrtank
ersetzt.
Max Valier, ständig auf der Suche nach Partnern für seine
Raketenvorführungen, schrieb an Sander und die beiden
kamen ins Gespräch. Max Valier machte Sander mit der
Raketentheorie von Hermann Oberth bekannt und schilderte
dessen Pläne zur Entwicklung eines Flüssigkeitstriebwerkes.
Als Dritter im Bunde, ließ sich der Automobilfabrikant Fritz von
Opel auf eine Zusammenarbeit mit Valier ein.
Gemeinsam entwickelten sie den Plan eines Raketenautos,
welches Fritz von Opel anfangs nur als wirksames Werbe-
instrument ansah. Im Zuge der Zusammenarbeit einigten sich
Sander und von Opel, Max Valier zukünftig aus ihren Plänen
herauszuhalten. Valiers Wissen um die Funktion von Raketen
schien stark begrenzt. Wohl waren aber auch die Charaktäre
von drei ausgesprochen selbstbewußten Persönlichkeiten nicht
kompatibel. Schon bei der Aufsehen erregenden Fahrt des
Opel-Raketenautos auf der Berliner AVUS am 23. Mai 1928
war Valier nur noch Gast.
Triebwerksentwicklung ab Sommer 1928
Selbst in der Raumfahrtgemeinde nahm man die Äußerungen
von Opels in seinem Radiointerview nach der Fahrt nicht ernst,
er habe schon mit der Entwicklung eines viel fortschrittlicheren
Raketenantriebs begonnen und werde demnächst vom
Raketenauto zum Raketenflugzeug übergehen, welches er als
die Vorstufe zur Raumfahrt ansehe. Sander und von Opel
waren offenbar im Mai 1928 schon übereingekommen, sich mit
dem Flüssigkeitsraketentriebwerk zu befassen. Von Opel hegte
den Plan, mit einem Raketenflugzeug den Ärmelkanal zu
überqueren. Das war mit Feststoffraketen nicht möglich. Eine
Brenndauer von etwa 20 Minuten schien den beiden nötig.
Ab Juni 1928 begannen die Vorarbeiten zum Flüssigkeits-
triebwerk. Da Robert Goddard seine Versuche geheim hielt,
mussten die beiden völlig bei Null beginnen. Am Anfang stand
eine gründliche Literaturrecherche, die aber keine praktischen
Hinweise zur Konstruktion ergeben haben kann. Wann und wo
das erste Versuchstriebwerk gezündet wurde, ist nicht mehr zu
ermitteln. Die Zeichnung einer Bestandsaufnahme des
Heereswaffenamtes zu Beginn des miltärischen Flüssigkeits-
raketenprogramms etwa 1932 zeigt ein Sander-Triebwerk mit
der Bezeichnung “Modell III” und der Bemerkung “benutzt seit
April 1928”. Also können Vorversuche von Sander schon einige
Monate zuvor begonnen haben. Vermutlich fanden die
gemeinsamen Tests alle bei Opel in Rüsselsheim statt, dort
konntes das kleine Entwicklungsteam auf die gut ausge-
rüsteten Werkstätten zurückgreifen. Nach Sanders Angaben
wurden bald Werte von etwa 70 kp Schub für über 45 Minuten
erreicht! Die ersten Versuchstriebwerke waren noch ungekühlt.
Originale Transportkiste für Sander-Pulvertreibsätze aus
dem Jahr 1929.
Raketenstart am 10. April 1929
Max Valier verdanken wir die Meldung des Starts zweier
Versuchsraketen von Sander am 10. und 12. April 1929. In
seinem Buch “Raketenfahrt” gibt er die Größe der Raketen
mit dem Kaliber 21 cm und einer Länge von 74 cm an. Sie
haben leer 7 kg und mit Treibstoff 16 kg gewogen. Der
Höchstschub betrug 45 bis 50 kp, bei einer
Gesamtbrenndauer von 132 Sekunden. Dies deutet auf
Gasdruckförderung hin. Die erste Rakete stieg so schnell
auf, dass Sander sie aus den Augen verlor. Zwei Tage
später war ein zweites Exemplar startbereit, Sander band
eine Leine von 4000 Metern Länge an die Rakete.
Nachdem 2000 m abgewicklet waren, riß die Leine und
auch diese Rakete verschwand im Gelände, vermutlich
nahe der Opelrennbahn von Rüsselsheim.
Doch im Vordergrund stand das Flugzeug für die Kanal-
überquerung. Dieses Ereigniss sollte werbemäßig groß
ausgeschlachtet werden und sowohl die Firma Opel als
auch Sander in die Presse bringen. Daher wurden die
Flüge dieser beiden (im Vergleich zum Flugzeug) kleinen
Raketen nicht publiziert. Die Brennversuche mit dem
Flugzeugtriebwerk verliefen sehr erfolgreich.
Von Opel stellt den weiteren Verlauf der Geschichte so dar,
dass sein Vater Adam von Opel, der Seniorchef sich durch
den Triebwerkslärm gestört fühlte und diese neue
“gefährliche Verrücktheit” seines Sohnes unterbinden
•
Lieferung von Pulverraketen für die
öffentlichkeitswirksamen Vorführungen
von Max Valier und Fritz von Opel.
•
Entwicklung des ersten Flüssigkeits-
raketentriebwerks und Start der ersten
Flüssigkeitsrakete nach Robert
Goddard
•
Überzeugung der Marine und dann des
Heereswaffenamtes, dass Raketen ein
modernes Waffensystem sein können.
Sander - sein Beitrag zur Raumfahrt
Sander (links) und Max Valier an einer Vorrichtung
zur Schubmessung von Pulvertreibsätzen.
Links Sander (mit Mütze), vorn der Sander-Techniker
August Becker und Fritz von Opel im hellen Sommer-
mantel am Opel-Sander-Rak 3 am 23. Juni 1928
nahe Burgwedel. Beim zweiten Lauf explodierte der
unbemannte Schienenschlitten.Gegenüber Valier
sprach von Opel bei dieser Gelegenheit davon, schon
an einem Flüssigkeitsmotor zu arbeiten.
Dabei lief dann das eigentlich schwerschmelzende
Metall der inneren Auskleidung aus der Düse.
Anfänglich erfolgte die Förderung der Treibstoffe
(Stickstofftetroxid und Benzol) mittels Druckgas aus
einem Gaserzeuger. Für sein Raketenflugzeug, so
berichtete Fritz von Opel 1968, habe man aber eine
Pumpenförderung verwendet. Sander schilderte bei der
Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Wesermünde
am 11. Dezember 1929, seine Triebwerke hätten
inzwischen über eine Brenndauer von 42 Minuten einen
Schub von 220 kp erzeugt.
Ein Jahr nach Beginn der Literatursuche erfreuen sich
im Juni 1929 der Fahrer Fritz von Opels, der Techniker
August Becker und Friedrich-Wilhelm Sander (von
links) am ruhigen Lauf des 70-kp-Triebwerks im
Flugzeug für die Kanal-Überquerung auf der Opel-
Rennbahn in Rüsselsheim. Deutlich erkennbar sind
die Leitungen zur Kühlung von Brennkammer und
Düse durch einen flüssigen Treibstoff.
wollte. Also zog Fritz von Opel den Flugzeugrumpf in der
Nacht mit einem Lastwagen heimlich von Werksgelände.
Bei der schnellen Fahrt über Kopfsteinpflaster müssen
die nicht entleerten Tanks geplatzt sein und der
Sperrholzrumpf des Flugzeugs wurde durch die
Treibstoffe unreparierbar beschädigt. Aus wirtschaftlichen
Gründen war Fritz von Opel gezwungen, Deutschland
Ende 1929 zu verlassen. Die Raketenversuche hatte er
nach der Zerstörung des Kanal-Flugzeug aufgegeben.
Sander verlor so im Sommer 1929 seine Arbeits-
grundlage in den Opel-Werkstätten.
Zeichnung des Heereswaffenamtes des ungekühlten
Sander-Triebwerkes “Modell III” aus dem April 1928.
Sander und militärische Raketen
Ab 1928 suchte Friedrich-Wilhelm Sander den Kontakt zum
Militär als Abnehmer für seine Pulverraketen. Zuerst arbeitete
er mit der Marine zusammen, bei der seine Firma einen guten
Namen hatte. Für die Marine sollte er Raketen zum Werfen
von Bojen entwickeln und zum Auslegen eines Nebelschleiers
vor gegnerischen Kriegsschiffen. Dadurch konnten sich
eigene Schiffe dem Geschützfeuer des Gegners unbemerkt
entziehen. Diese Anwendung schien ihm auch für das Heer
einsetzbar. Eine Recherche des Heereswaffenamtes bei
Herstellern von Pulverraketen könnte der Anlass für die
Kontaktaufnahme gewesen sein.
Jedenfalls überlegte die Reichswehr, durch Raketen neben
dem Verschleierungsnebel auch Kampfgase ausbringen zu
lassen. Sander begann darufhin, mit Pulverraketen von
Kalibern bis 15 cm zu experimentieren. Das Heer sprach
sogar von Kalibern bis zu 21 cm. Daraus wurden später die
bekannten Nebelwerfer des Krieges.
Auch für Flugzeuge begann Sander Kampfraketen zu
erproben. Zum Abschuss der neuen Ganzmetallflugzeuge
wurden schwerere Waffen benötigt, als die im Ersten
Weltkrieg eingesetzten Maschinengewehre. Raketen, die
keinen Rückstoß entwickelten, schien für die leicht gebauten
Jagdflugzeuge dieser Zeit ideal als Bewaffnung. Eine Sander-
Rakete vom Kaliber 65 mm wurde zum “Rauchzylinder” RZ 65
weiterentwickelt, die dann im Zweiten Weltkrieg gegen
Bomber verwendet wurden.
Verhaftung und Tod
Ohne Vorwarnung wurde Friedrich-Wilhelm Sander am
31. Januar 1935 von der Gestapo verhaftet. Seine Firma
wurde einem Treuhänder des Miltärs unterstellt, also
quasi enteignet und alle Unterlagen beschlagnahmt.
Nach drei Monaten in Untersuchungshaft kam Sander
frei, nur um im November 1935 wieder verhaftet zu
werden. Nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde er
wegen Landesverrats zu viereinhalb Jahren Gefängnis
und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Sander hatte seine Raketen auch nach Italien und
England verkauft. Da es sich dabei um ältere
Ausführungen seiner Pulverraketen handelte, habe er
dies als nicht verboten angesehen. Sander mutmaßte,
das Heeresaffenamt wollte die Entwicklung und
Herstellung der Raketenwaffen selbst übernehmen.
Sander wurde Ostern 1938 aus dem Gefängnis
entlassen. Seine Firma wurde als Donar GmbH für
Apparatebau ohne ihn geführt.
Am 15. September 1938 starb Friedrich-Wilhelm Sander
plötzlich, als er einen Bekannten besuchte. Die Familie
vermutet, er war auf Grund des Gefängnisaufenthalts
körperlich so angeschlagen gewesen, das er einen
Herzinfarkt erlitt.
Die beschlagnahmten Unterlagen über die Raketen-
entwicklungen der Firma Sander sind bis heute
verschollen.
Die Unterseite eines Rauchzylinder RZ 65 im
Museum Lärz zeigt die inneren Treiböffnungen
und die äußeren, schräg stehenden Düsen,
welche das Geschoss in Rotation versetzen.
Uwe W. Jack
Rudolf
Nebel
Wernher
von Braun
Klaus Riedel