Raketenflugplatz-Berlin
Johannes Winkler
Johannes Winkler wurde am 29. Mai 1897 in Schlesien, in
Bad Carlsruhe (heute polnisch Pokoi) geboren. Der Sohn
eines Tischlermeistes hatte sieben Geschwister. Winkler
wuchs im Glauben der konservativen Altlutherischen
Freikirche auf. Noch Schüler auf dem Gymnasium, meldete
sich Winkler 1915 als Kriegsfreiwilliger zum Militär. Im März
1916 wurde er bei einem Angriff auf russische Linien schwer
am Bein verwundet. Dies brachte ihm einen Zeit Lebens
etwas schwerfälligen Gang ein. Nach mehreren Monaten im
Krankenhaus, wurde Winkler in die Militärverwaltung
übernommen und hatte dort die Gelegenheit, sein Abitur zu
machen. Noch im Krieg nahm er ein Abendstudium
Maschinenbau in Danzig auf, praktische Arbeiten erfolgten
studienbegleitend in einem Konstruktionsbüro für U-Boote.
1920 musste Winkler sein Maschinenbau-Studium nach
wenigen Monaten abbrechen und nahm etwas später ein
Theologie-Studium auf. Nach dem Theologie-Examen im
Oktober 1922 ging er in den Verwaltungsdienst der
evangelischen Kirche und zog 1924 nach Breslau um.
Winkler begeistert sich für Raketen
In Breslau las Winkler mit Begeisterung den in einer
Tageszeitung den in Fortsetzungen veröffentlichten Roman
“Der Stein vom Mond” von Otto Willi Gail. Der Autor bezog
sein Hintergrundwissen aus den Veröffentlichungen von Max
Valier, der wiederum auf Hermann Oberth aufbaute. Skeptisch
rechnete Winkler die Angaben Gails über den Flug zum Mond
nach und war erstaunt, dass die Berechnungen stimmen
mussten. Im Oktober 1926 schrieb er einen Brief an Hermann
Oberth, in dem er erwähnt, sich inzwischen dessen Buch “Die
Rakete zu den Planetenräumen” besorgt zu haben. Er bat
Oberth um Literaturempfehlungen und fragte, ob der Bau
einer Mondrakete schon in Angriff genommen sei.
Nach Oberths Antwort, dass an den Bau einer Mondrakete
noch nicht zu denken sei, da erst grundlegende Probleme des
Antriebs geklärt werden müssten, begann Winkler mit einer
eigenen Versuchstätigkeit. Er untersuchte Schubverläufe von
kleinen Pulvertreibsätzen. Unterstützung fand er bei der
Technischen Hochschule in Breslau.
Eine Zeitschrift namens “Die Rakete”
Johannes Winkler hatte hin und wieder religiös motiverte
Texte in kirchlichen Mitteilungsblättern veröffentlicht. Ab
1927 erschienen Artikel von ihm zu Raumfahrt-Themen in
der “Deutschen Jugendzeitung” ein kirchennahes Magazin,
dessen Herausgeber er war. Mit der Ausgabe vom 15. April
1927 ging Winkler mutig einen Schritt weiter. Er teilte den
Lesern mit, er werde seine Publikation umbennen. Der
neue Titel “Die Rakete” war natürlich ein Bezug auf das
Buch von Hermann Oberth.
Die erste Ausgabe der “Rakete” erschien am 15. Juli 1927.
Damit hatte Johannes Winkler die weltweit erste Zeitschrift
für Raketentechnik und Weltraumfahrt gegründet.
Winklers Versuche zur Flüssigkeitsrakete
Der Wunschpartner für deutsche Raketenforscher war der
Junkers-Flugzeugbau in Dessau. Das Unternehmen
produzierte erfolgreich Ganzmetall-Flugzeuge und exportierte
diese in alle Welt. Ab September 1929 arbeitete Winkler bei
Junkers an der Schaffung von Starthilferaketen. Geheimnisvoll
verlautbarte er, dass er die Arbeit an Raketen bei einem
großen Unternehmen aufgenommen habe, aber weder den
Namen der Firma noch das Ziel seiner Arbeit nennen dürfe.
Bei Junkers hatte man sich schon seit 1925 (erfolglos) an
Starthilferaketen versucht. Max Valier hatte die Firma in
diesem Jahr auf den Raketenantrieb aufmerksam gemacht,
galt aber nicht als seriöser Forscher. Als Autor von
Fachartikeln in der “Rakete” hatte sich dagegen Winkler
offenbar für die Arbeit bei Junkers empfohlen. Junkers steckte
zu dieser Zeit aber in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten.
So konnte Winkler nur auf bescheidene Mittel als Anhängsel
an die Junkers-Motorenentwicklung zurückgreifen. Etwa ein
Jahr lang befasste sich Winkler mit Grundlagenversuchen und
führte Brenntests mit Benzin und Flüssigsauerstoff durch.
Schübe von 20 kp, gelegentlich sogar 50 kp wurden erreicht.
Bis März 1931 arbeitet er danach an einem Starthilfe-
Triebwerk mit 250 kp Zielschub und lagerfähigen Treibstoffen.
Sein Ziel war ja aber nicht ein Starthilfeaggregat, sondern eine
fliegende Rakete. Mit finanzieller Unterstützung durch den
Fabrikanten Hugo Hückel begann Johannes Winkler ab dem
Sommer 1930 mit privaten Versuchen. Er mietete eine kleine
Werkstatt an und beschäftigte einen Mechaniker namens
Richard Baumann.
Die HW1 fliegt
Seine erste Rakete, HW1 (Hückel-Winkler 1) war mehr ein
fliegendes Testgerät. Das Triebwerk war oben zwischen drei
Tankröhren angebracht. Winkler übernahm hier den Irrtum
Oberths und des Raketenflugplatzes (und Robert Goddards)
von der angeblichen Selbststabilisierung von Kopfbrennern.
Schon frühzeitig scheint Winkler auch den Kontakt zum Militär
gesucht zu haben. Der Start erfolgte auf einem Militär-
gelände bei Dessau-Großkühnau. Auf Fotos ist mindestens
ein Reichswehrangehöriger in Uniform an der HW1 zu
sehen. Beim ersten Startversuch am 21. Februar 1931 flog
die HW1 gerade drei Meter hoch. Nach einigen
Verbesserungsarbeiten legte die HW1 am 14. März 1931
etwa 200 Meter Flugstrecke zurück, die erreichte Höhe
wurde auf 60 Meter geschätzt.
Stolz veröffentlichte Winkler seinen Erfolg “als Geburts-
stunde der Rakete” in Unkenntnis der Versuche von Robert
Goddard in den USA ab dem 16. März 1926, der seine
Flüge geheim gehalten hatte. Zwar hatte Winkler in der
letzten “Rakete” vom Dezember 1929 mitgeteilt, es sei
“wenn auch nicht öffentlich” eine Rakete für flüssige
Treibstoffe gestartet worden. Dabei kann es sich nur um
einen Bezug auf die Mitteilung von Max Valier über die
beiden im April 1929 von Friedrich-Wilhelm Sander mit
Unterstützung durch Fritz von Opel gestarteten
Flüssigkeitsraketen handeln. Vermutlich hatte Winkler 1931
mittlerweile Zweifel an den Flügen, da weder von Opel,
noch Sander irgendwelche Informationen herausgaben.
So musste Winkler an den weltersten Flug einer
Flüssigkeitsrakete glauben. Da hier aber unabhängige
Zeugen vor Ort waren, handelte es sich mit Sicherheit um
den ersten öffentlich bekannt gewordenen Flug einer
Flüssigkeitsrakete. Ein Kamerateam der Wochenschau war
anwesend, doch die Aufnahmen wurden nicht in den Kinos
gezeigt, da sie vermutlich nicht spektakulär genug waren.
Eine geänderte Ausführung seiner Rakete mit schräg
stehenden Flossen nannte Winkler HW1a. Am 7. März 1931
bei Junkers ausgeschieden, besuchte Professor Hugo
Junkers mit seiner Tochter dennoch persönlich den Start
der HW1a im April 1931, die leicht rotierend genau
senkrecht 90 m aufstieg. Johannes Winkler machte sich
anschließend an den Bau einer anspruchsvollen
Höhenforschungsrakete, seiner HW2.
Links:
Die bisher in der “Deutschen Jugendzeitung”
erschienenen Raumfahrtartikel wurden in
einem Ergänzugsheft zusammengefaßt.
Mit der Nummer “Die Rakete” vom 15. Juli
1927 wurde die erste Raumfahrtzeitschrift
der Welt veröffentlicht.
Startvorbereitungen am 6. Oktober 1932 an
der Ostsee bei Pillau durch Winkler und
Bermüller. Oben an der Spitze ist der
Barograph zu sehen.
Ein Verein für Raumfahrt-Forscher
Max Valier hatte schon lange in Briefen und Gesprächen dafür
geworben, alle, die in Deutschland, und sogar international, an
der Verwirklichung der Raumfahrt arbeiteten Forscher
zusammen zu bringen. In der ersten Ausgabe der “Rakete”
vom 15. Juli 1927 begann die erste Seite: “Auf Anregen von
Herrn Max Valier München, fand am 5. Juli 1927, nachmittags
6 ½ Uhr, zu Breslau im Goldenen Zepter, Schmiedebrücke 22,
die Gründungsversammlung eines Vereins für Raumschiffahrt
E.V. statt. Herr Valier ist zu überlastet, um den Verein selbst
gründen zu können, und ist deshalb an den Herausgeber der
Rakete herangetreten mit dem Ersuchen, nunmehr einen
Zusammenschluß vorzunehmen. … Als erstes Ziel der Arbeit
beabsichtigt Herr Valier, in ein Leichtflugzeug verhältnismäßig
einfache Raketen einzubauen und - vielleicht noch in diesem
Sommer - durch einen neuen Höhenrekord für Flugzeuge die
Brauchbarkeit des Reaktionsprinzips der Öffentlichkeit zu
beweisen. Außerdem hat sich Herr Neubert, München, bereit
erklärt, als erster mit einem reinen Raketenapparat
aufzusteigen. Es bedarf dazu freilich bereits eines gut
durchkonstruierten Raketenapparates.”
Damit waren die Ziele des Vereins klar nicht nur auf allgemeine
Werbung für den Raumfahrtgedanken oder auf theoretische
Diskussionen festgelegt, vielmehr sollten durch Mitglieder auch
praktische Versucharbeiten durchgeführt werden.
Obwohl die Absicht der Vereinsgründung schon in der
“Deutschen Jugendzeitung” angekündigt worden war, fanden
sich die für einen solchen Akt notwendigen sieben Mitglieder
aus dem Kreis der Raketenforscher nicht zusammen. Viele der
Gründungsmitglieder scheinen aus dem kirchlichen Umfeld von
Johannes Winkler zu stammen.
Doch nach und nach konnten ernsthafte Raketenforscher aus
Deutschland und sogar aus dem Ausland als Mitglieder
gewonnen werden. Die Mitgliederzahl erreichte mit einem
Höchststand von etwa 700 Personen für eine solche
Spezialgruppe zwar einen erstaunlichen Umfang, konnte
jedoch das Ziel, aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden
Forschungsarbeiten zu finanzieren niemals auch nur
annähernd erreichen. Die ab 1930 auf dem
“Raketenflugplatz Berlin” geleisteten Arbeiten fanden nicht
im Namen oder unter der Regie des Vereins statt, sondern
in einer von Rudolf Nebel geschaffenen Grauzone.
Das Ende der “Rakete”
Etwa zweieinhalb Jahre war “Die Rakete” die Bühne, auf
der sich Raketenforscher austauschten. Leider lief dieser
Austausch letztlich auf ein Kompetenzgerangel und einen
kleinlichen Streit hinaus, wer wann was als erster erfunden
oder erwähnt habe. Johannes Winkler, der sich vermutlich
als Vereinsvorsitzender und Herausgeber des Fachmagazins
einen wichtigen Einfluß in Raumfahrtkreisen versprochen
hatte, wurde zur Randfigur. Enttäuscht stellte er die
Herausgabe der “Rakete” nach der Ausgabe Dezember
1929 ein. Nicht nur die Zänkereien der Mitglieder, auch
finanzielle Schwierigkeiten, die innerhalb des Vereins Kritik
an seiner Arbeit laut werden ließen, führten zur Einstellung
der Publikation.
In der letzten Ausgabe führten Hermann Oberth und
Franz von Hoefft ihren erbitterten Zwist weiter und hinter
dem Bericht über den ersten großen Weltraumfilm “Frau im
Mond” konnte der Artikel von Winkler über die Einspritzung
von Treibstoffen gegen die Strömungsrichtung in der
Brennkammer die Seriösität der Zeitschrift nicht retten.
Schon im Herbst 1929 hatten Mitglieder darauf
hingearbeitet, den Vereinssitz von Breslau (also von Winkler
weg) nach Berlin zu verlegen. Ab November 1930
übernahm schließlich Hermann Oberth den Vorsitz des
Vereins, nach dessen Vereinsaustritt im Mai 1931 blieb der
Posten erst einmal unbesetzt, ab Dezember 1931 wurde
dann Hans-Wolf von Dickhut Vorsitzender. Johannes
Winkler war damit nur noch ein ganz normales Mitglied
ohne besondere Funktion und lebte weit ab vom
eigentlichen Vereinsgeschehen.
Die erste Flüssigkeitsrakete von Johannes Winkler flog
am 14. März 1931 bei Dessau und erreichte eine Höhe
von etwa 60 Metern. Die Bilder zeigen einen Nachbau im
Hermann-Oberth-Raumfahrtmuseum in Feucht.
Rechts oben: Die Druckflasche für die Treibstoff-
Förderung. Der Ventilhebel liegt in der “Geschlossen”-
Position nach rechts.
Rechts unten: Die Zündung des Methan-Sauerstoff-
Gemisches erfolgte mit einer Zündkerze hinter der Düse.
HW1: Die erste öffentlich geflogene Flüssigkeitsrakete der Welt
Ganz links: Winklers HW1a steht heute im Deutschen
Museum in München.
Links und oben: Der Finanzier Hugo Hückel übte
Druck auf Winkler aus, mit seinen Versuchen zur HW2
zum Raketenflugplatz Berlin umzuziehen. Ab Oktober
1931 arbeitete Winkler dort in einer abgelegenen
Baracke mit seinem Helfer Hans Bermüller ohne
Kontakt zu den Berliner Raketenleuten zu suchen.
Höhenforschungsrakete HW2
Der Entwurf der HW2 weist eine gewisse Ähnlichkeit zur UfA-
Rakete von Hermann Oberth aus dem Jahr 1929 auf. Die HW2
ist mit 190 cm Länge auch etwa ungefähr so lang, aber
bauchiger und hat nur drei sehr klein geratene Flossen. Als
Treibstoffe wählte Winkler wieder flüssiges Methan und
Flüssigsauerstoff. Die Drucksteigerung durch Verdunstung der
beiden Stoffe sollte die Treibstoff-Förderung übernehmen.
Der von Hugo Hückel geforderte Umzug von Dessau zum
Raketenflugplatz Berlin erfolgte ohne große Begeisterung im
Oktober 1931. Auch die Berliner erhielten Geld von Hückel und
er wollte hier vermutlich die Arbeiten bündeln. Dennoch
blieben die Berliner und Winkler mit seinen Assistenten Hans
Bermüller und Rolf Engel zwei getrennte Mannschaften. Nicht
einmal den Flüssigsauerstoff holte sich Winkler vom Raketen-
flugplatz, sondern suchte sich eigene Quellen. Beide Seiten
schienen nicht sonderlich bemüht, einen Erfahrungsaustausch
durchzuführen.
Rolf Engel, der seinen Kollegen, Heinz Springer, zu Winkler als
weitere Assistenten dazuholte, bemängelte später Winklers
Arbeistweise: “Warum etwas einfach machen, wenn es auch
kompliziert geht?” Ferner sei Winkler unerschütterlich davon
überzeugt gewesen, wenn er sich theoretisch etwas überlegt
habe, dann würde es in der Realität genauso funktionieren.
Von den intensiven Testarbeiten des Raketenflugplatzes
hielt Winkler nichts. „Wenn es einmal geht, geht es immer –
jedenfalls bei mir“. Er habe sich nur zu zwei kurzen
Brenntest des Triebwerks von etwa zusammen 25
Sekunden überreden lassen. Dabei seinen etwa 12 kp
Schub erreicht worden.
So machte sich Winkler mit Bermüller, Engel, eventuell
auch Springer und der HW2 auf an die Ostsee. Der erste
gewählte Startort, die Insel Greifswalder Oie, konnte nach
einem Verbot staatlicher Stellen nicht genutzt werden. So
ging man an die Küste weiter östlich an die Frische
Nehrung nahe Pillau. Dies habe das Reichswehr-
ministerium vorgeschlagen. Winkler erhielt sogar Geld für
den Transport und Schiffe der Marine beobachteten den
Start von See aus. Auch hier waren Reichswehrangehörige
vor Ort. Sogar Major und Professor Carl Cranz von der
Technischen Hochschule Berlin, Autor des renommierten
Werkes “Lehrbuch der Ballistik” war persönlich angereist.
Zwei Assistenten von Cranz beschäftigten sich auf sein
Geheiß gerade intensiv mit Raketen: Die Hauptmänner
Walter Dornberger und Ritter von Horstig.
Johannes Winkler auf der Greifswalder
Oie an der HW2, hinter der Klappe
liegen die Ventile.
1 - Barograph und Fallschirm
2 - Sauerstofftank
3 - Druckmesser
4 - Methantank
5 - Brennkammer
6 - Auströmdüse
7 - Luftflossen
Seltene Aufnahmen vom Startversuch der HW2 am
6. Oktober 1932 aus der Sammlung des Historikers
Martin Frauenheim. Die Bilder stammen von einer Seite
aus Winklers Fotoalbum.
Ganz oben: Winkler notiert “Major Cranz RWM zur
Inspektion bei mir”
Oben: Ein optimistischer Winkler kurz vor dem Start.
Beachtenswert sind die Wellen als Index für den Wind.
Die HW2 explodiert
Der erste Startversuch am 28. September 1932 mußte wegen
eines Methanlecks abgesagt werden. Zahlreiche Beobachter
hatten sich am Strand eingefunden, darunter auch eine
Filmmannschaft.
Am 6. Oktober wurde es ernst. Sicherheitshalber hatte Engel
den Innenraum der Rakete mit Kohlensäure durchgespült, um
eventuelle Leckgase der Treibstoffe hinauszublasen. Winkler
bezeichnete die HW2 recht optimistisch als “20-km-Rakete”,
laut Engel war (mit reduzierter Tankfüllung) eine Steighöhe
von mindestens 5000 bis maximal 7000 Metern geplant.
Damit hätte eine Flüssigkeitsrakete die damalige
Maximalflughöhe der Feststoffraketen von 4000 Metern
übertroffen.
Beim elektrisch betätigten Öffnen der Ventile ereignete sich
eine Explosion, welche die Rakete mehrere Meter hoch und
weit aus dem Startgestell schleuderte.
Winklers später abgegebene Erklärung, es seien nicht mehr
Gase explodiert, als im Chemieunterricht einer Schule zur
Demonstration gezündet werden, kann nur als Schutz-
behauptung gewertet werden. Die gesamte Metallhülle der
Rakete wurde abgerissen. Da der Körper mehrere Meter
hochflog, ist zu vermuten, dass sich Leckgase nicht nur
zwischen den Tanks sondern auch im Triebwerk und unter
der HW2 gesammelt hatten. Die Überdruckleitungen der
Tanks bliesen die Gase ja durch das Triebwerk aus.
Oben: Ein Beobachter fotografierte die Explosion der
HW2 aus sicherer Entfernung.
Rechts: Zum Löschen des Brandes wurde Sand auf die
Trümmer geworfen. Hans Bermüller (hinten) und ein
unbekannter Mitstreiter schauen sich das Debakel an.
Hinten links liegt das zerstörte Startgestell.
Dies sind ebenfalls zwei seltene Aufnahmen aus
Winklers Fotoalbum, die freundlicherweise der Historiker
Martin Frauenheim zur Verfügung stellte.
Hückel-Winkler HW2 (Angaben nach Rolf Engel)
Länge:
190 cm
Durchmesser max.
40 cm
Flüssig-Sauerstoff
32,0 kg
flüssig. Methan:
4,0 kg
Triebwerk:
1,7 kg
Tanks, Ventile, Rohre:
5,3 kg
Verkleidung, Flossen:
2,5 kg
Nutzlast (Barograph)
0,5 kg
Brennkammerdruck:
9 atü
Brennzeit:
49 sec
Mittlerer Schub:
96 kp
Brennstoffverbrauch:
8 kg/sec
Struktur:
9,5 kg
Nutzlast:
0,5 kg
Treibstoff gesamt
36,0 kg
Beim Start am 6. Oktober 1932 soll die HW2 nicht voll
aufgetankt gewesen sein. Der angegebene Brennstoff-
verbrauch kann nur der Anfangswert sein, danach fällt ja
der Förderdruck stark ab.
Ob die ungesteuerte HW2 wirklich zum Fliegen
gekommen wäre, ist fraglich. Das Startgestell hätte die
Rakete schon freigegeben, wenn sie einen Millimeter
abgehoben wäre. Die drei winzigen Flossen wären
kaum in der Lage, den Flugkörper zu stabilisieren,
schon garnicht bei niedrigen Geschwindigkeiten. Da war
Oberths UfA-Rakete mit ihrem Startgestell und großen
Flossen wesentlich kompetenter entworfen.
Die vier Startversuche mit dem Aggregat A3 von der
Greifswalder Oie im Dezember 1937 zeigten, dass trotz
(zu schwacher, aber vorhandener) Strahlruder-
Steuerung, eine gerade gestartete Rakete erheblichen
Windeinflüssen ausgesetzt ist.
Weitere Arbeiten von Johannes Winkler
Der Rückschlag durch den Fehlstart der HW2 konnte Winkler
nicht entmutigen. 1932 veröffentlichte er sein Raketenbuch
“Der Strahlmotor”, in welchem er grundlegende Formeln und
Begriffe der Raketentechnik darlegte.
Unter all den Formeln geht eine für Winkler wichtige Idee fast
unter. Wie er es gegenüber Rolf Engel einmal formulierte,
wolle er den “Dritten Weg zur Raumschiffahrt” gehen. Der
erste Weg ist dabei, wie von Oberth postuliert, die Konstruktion
und Erprobung von immer größeren Raketen. Der zweite Weg
ist die von Valier vorgeschlagene Weiterentwicklung von
herkömmlichen Flugzeugen zu Raketenflugzeugen und
schließlich zu Raumfahrzeugen.
Winkler schlug vor, eine einfache “Standard-Rakete” zu
schaffen, die sehr zuverlässig sein sollte. Für höhere
Leistungen würden dann mehrere Standard-Raketen
gebündelt und in Stufen aufeinandergestellt werden.
Ab Mitte August 1933 arbeitete Winkler wieder bei Junkers und
war bis Herbst 1935 mit der Entwicklung eines Triebwerks für
250 kp Schub und 12 Sekunden Brenndauer mit Flüssig-
sauerstoff und Methan befasst.
Ab Herbst 1935 forschte er bei Junkers zu einem
„Plattenbrennraum mit 10 000 kg Schub, Untersuchung eines
Teilstücks daraus von 5 kg Schub“ Ab Herbst 1936 dann
„Entwicklung einer Brennraumbatterie für 10 000 kg Schub,
zusammengesetzt aus 100-kg-Einheiten“. Eventuell handelt es
sich etwas schwammig formuliert um ein Raketen-Bündel. Ab
Herbst 1937 bis Herbst 1938 Entwicklung eines „1000-kg-
Rückstoßers für 30 000 skp mit 10 Einheiten a 100 kg oder
1 Einheit von 1000 kg Rückstoß. Betrieb mit Benzin,
Flüssigsauerstoff und Wasser.“ Ende 1938 verließ Winkler die
Firma Junkers, um ab dem 1. April 1939 bis 31. März 1941 als
selbständiger Forscher bei der Luftfahrtforschungsanstalt
Hermann Göring (LFA-HG) in Braunschweig anzutreten.
Der Entwicklungsauftrag in Braunschweig lautete: „kleinere
Einheit für 100 kg Rückstoß“, also vermutlich die Weiter-
betreibung der vorher bei Junkers begonnenen Arbeiten.
Jedoch wurden diese Versuche abgebrochen. Danach begann
die Entwicklung eines Antriebes mit flüssigem N2O (Lachgas)
und Benzin.
Ab 1. April 1941 bis zur Besetzung durch britische Truppen
Ende April 1945 wirkte Johannes Winkler als Abteilungsleiter
im Institut für Gasdynamik der LFA-HG in der Grundlagen-
forschung. Gegen Kriegsende war er wohl auch mit dem
Projekt einer akustisch gesteuerten Flugabwehrrakete befasst.
Ab 1945 wurde Winkler in die In Braunschweig laufenden
Staustrahl-Triebwerks-Entwicklungen eingespannt. Brenn-
versuche erfolgten mit festem Kohlenstoff und Luft.
Winklers Standard-Rakete aus dem Bericht für britische Militärstellen 1947: Länge 14 m,
Durchmesser 0,30 m, Schub 10 Tonnen und Druckgasförderung.
1932: Zweistufenrakete
aus gebündelten
Standard-Raketen
Einer Kommandierung zum Volkssturm konnte sich
Winkler aus gesundheitlichen Gründen entziehen. Nach
der Kapitulation fertigte er für die britischen Truppen
Berichte über seine Arbeiten an. Besonders sollte seine
Arbeit über “Zusammengesetzte Raketen” nochmals
erwähnt werden, ein Ansatz, den Winkler immer als
seinen Weg in den Weltraum ansah. Seine
Mitgliedschaft in der NSDAP (seit 1937) und als
förderndes Mitglied der SS (seit 1933) wurde von den
Siegermächten erfasst, Winkler aber als Mitläufer
eingestuft. Er versuchte sich als Ingeneur und Vortrags-
redner über Wasser zu halten. In der schweren
Nachkriegszeit erkrankte Johannes Winkler und starb
am 27. Dezember 1947.
Uwe W. Jack
Rudolf
Nebel
Wernher
von Braun
Klaus Riedel