Raketenflugplatz-Berlin Analytische Rekonstruktion: Johannes Winkler HW2 Originalgetreuer Nachbau der Rakete von 1932 Am 6. Oktober 1932 explodierte die Höhenforschungsrakete von Johannes Winkler beim Startversuch am Strand der Ostsee nahe Pillau. Winkler hatte lange an dieser Rakete gerechnet und konstruiert. Auf energisches Anraten seines Finanziers Hugo Hückel war Winkler mit der HW2 von Dessau zum Raketenflugplatz Berlin gezogen. Hier führte er abseits des sonstigen Versuchsbetriebs der anderen Raketenpioniere seine Vorversuche mit der HW2 (Hückel-Winkler No. 2) durch. Die Höhenforschungsrakete war mit einem Luftdruck- Registrierschreiber ausgerüstet. Bei einer Gesamtlänge von 190 cm wog die leere Rakte 10 kg. Ein geplanter Start von der kleinen Insel Greifswalder Oie nördlich von Peenemünde wurde durch die Behörden untersagt. Wie schon zuvor bei der Startanfrage von Hermann Oberth, musste eine mögliche Gefährdung des dortigen Leuchtturms als Begründung herhalten. Winkler und seine beiden Mitarbeiter Rof Engel und Hans Bermüller erhielten aber die Erlaubnis, nahe Pillau einen Flug durchzuführen. Nachdem einige Tage zuvor ein Startversuch wegen undichter Leitungen abgebrochen wurde, war es am 6. Oktober 1932 endlich soweit. Das Innere der Rakete war zum Ausspülen von eventuell ausgetretenen Treibstoffgasen noch schnell mit Stickstoff geflutet worden. Die Rakete sollte theoretisch mit 32 kg Flüssigsauerstoff und 4 kg flüsigem Methan betankt worden sein. Winkler gab das elektrische Signal zum Öffnen der Ventile. Sofort explodierte eine Gasmischung im Tankzwischenraum und vermutlich auch im Triebwerk und schleuderte die Rakete mehrere Meter hoch in die Luft. Die Außenhaut wurde zum großen Teil aufgerissen, Tanks und Triebwerk blieben jedoch unbeschädigt. Diese Komponenten sind bis heute im Original erhalten und werden vom Deutschen Museum in München in der Raumfahrtausstellung gezeigt. Mangelde Versuchskultur Winklers Über die Ursache der Explosion der HW2 wurde und wird viel spekuliert. Winkler selbst schrieb: “… zeigte sich eine bei den Prüfstandversuchen nicht vorhandene undichte Stelle, die erst nach der Zündung erkennbar wurde, weil Brennstoff und Sauerstoff in getrennten Behältern mitgeführt wurden, die nur noch in dem Verbrennungszylinder zusammengeleitet werden.” Seine beschwichtigende Behauptung, es sei nur eine kleine Menge Knallgas explodiert, wie man sie auch im Chemieunterricht zündet, wird durch Filmaufnahmen widerlegt. Die betankte Rakete mit 46 kg Gewicht flog mehrere Meter hoch in die Luft und einige Meter weit.  Rolf Engel machte später die Herangehensweise von Winkler an Versuche verantwortlich für den Fehlschlag. Winkler habe das Triebwerk der HW2 nur zweimal kurz auf dem Raketenflugplatz gezündet. Winkler sei immer der festen Überzeugung gewesen, wenn seine theoretischen Überlegungen stimmen, würden die entsprechend gebauten Geräte auch einwandfrei funktionieren. In Berlin machte sich Dipl.-Ing. Klaus Schlingmann seit 2016 an einen Nachbau der HW2. Lange Recherchen sind diesem Vorhaben vorangegangen. Die besondere Herangehensweise von Klaus Schlingmann, von ihm “Analytische Rekonstruktion” genannt, unterscheidet sich von anderen Nachbau-Vorhaben zu Objekten der Luft- und Raumfahrtgeschichte. Nicht nur die Formgebung eines Objektes wird von ihm eingehend untersucht, sondern auch die originalen Materialien und Herstellungsverfahren werden benutzt. Dadurch erhält Klaus Schlingmann Dublikate, an denen der historische Schaffensprozeß deutlich wird und die einen Einblick in die Planung und Zielrichtung der Originale erlauben. Bei etlichen wichtigen Originalen ist die Frage “warum hat man dies damals genau so gebaut?” aus mit der Sichtweise der heutigen Herstellungstechniken nicht zu beantworten. Die Analytische Rekonstruktion gewährt daher Einblicke, die anders nicht mehr zu gewinnen sind. Für die HW2 heißt die Erkenntnis von Klaus Schlingmann, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit die Ventile für die Gasansammlung innerhalb der Rakete verantwortlich sind. Die von Johannes Winkler gewählte Ausführung der Ventile konnte bei den hochgekühlten, verflüssigten Gasen Sauerstoff (Siedepunkt -183 Grad Celsius) und Methan (Siedepunkt -162 Grad C) keinen Dichtsitz garantieren. Bei den Teststandversuchen in Berlin hatte Winkler die Außenhaut der Rakete nicht montiert. Leckgase konnten sich so nicht sammeln. Hier kommt wieder die ungenügende Versuchskultur von Winkler ins Spiel. Auch aus seinem Fehlschlag haben andere Raketenpioniere gelernt, dass jede Komponente einer Rakete wiederholt unter wirklichkeitsnahen Bedingungen getestet werden muss. Schließlich ist es unbedingt notwendig eine Rakete als Gesamtsystem durchzuprüfen, bevor an einen Startversuch gegangen werden kann.                                 Uwe W. Jack Johannes Winkler mit der unverkleideten HW2, so wird sie heute im Deutschen Museum ausgestellt. Winkler beobachtet in Berlin einen Durchblasversuch mit der HW2 (kein Brennversuch!) Über der Holzform wird eine Kalotte für die Tanks gedrückt. Oben: Der Sauerstofftank wird aus zwei Kalotten und dem Zylinderstück zuerst mit Schweißpunkten geheftet. Rechts: danach wird der Tank nach dem zeitgenössischen Verfahren vollständig verschweißt - hier der Methantank. Johannes Winkler in seiner Baracke auf dem Raketen- flugplatz Berlin mit der Höhenforschungsrakete HW2. In der Öffnung sind die beiden Manometer für den Treibstoffdruck zu sehen. Die beiden vollständig nachgebauten Tanks der Winkler HW2. Links der Sauerstoff-, rechts der Methantank. Im Vergleich dazu im Bild rechts der originale Sauerstofftank. Die originalen Tanks und Leitungen wurden vollständig mit Silberfarbe gestrichen und sind über die Jahrzehnte verschmutzt. Daher das unterschiedliche äußere Erscheinungsbild. Unten: Ein Detail des Tanknachbaus zeigt die originalgetreue Schweißtechnik Rechts: Die beiden neu gefertigten Tanks der HW2 in der Anordnung, wie sie in der Rakete verbaut wurden. Ganz rechts die Tanks in einer zeit- genössischen Darstellung. Wahmke Versuchsofen Oberth Kegeldüse Ein originalgetreuer Nachbau der HW2 Nachdem einmal der Entschluss zum Nachbau der Winkler HW2 gefasst war, stellte sich gleich die Frage der Zielsetzung. Sollte sie zum Fliegen gebracht werden oder sollte es eine vollständige, möglichst authentische Rekonstruktion sein? Die HW2 zum Fliegen zu bringen würde eine umfangreiche Modifizierung gegenüber dem Original bedeuten. Außerdem gibt es außer ein paar Handskizzen keine original bemaßten Fertigungszeichnungen des Triebwerks. Es läuft also von "so könnte es etwa gewesen sein" auf eine nicht seriöse Behauptung ohne Belege:"so war das Original" hinaus.   Da die Ursache des Startversagens in Form einer Explosion bekannt ist (Undichtigkeit der Hauptventile führten zur Knallgasbildung), gibt es nichts, was man nicht auf dem Teststand nachweisen könnte, hatte die HW2 doch schon unter Winkler ihre Funktionsfähigkeit auf dem Prüfstand auf dem Raketenflugplatz Berlin bewiesen. Eine so modifizierte und fliegende HW2 sieht zwar auf dem ersten Blick aus wie eine HW2, ist aber keine. Die Entscheidung zum Bau einer möglichst authentischen, eigentlich funktionsfähigen HW2 mit Außenhaut und Startgestell, so wie sie am 6. Oktober 1932 an der Kurischen Nehrung an den Start gebracht wurde, stand sehr schnell fest. Unsere Zielsetzung ist der exakte Nachbau der HW2 um den Entwicklungsweg, den Bau, die damit verbundenen Probleme und deren Lösung zu verstehen und zu dokumentieren. Letztlich steht so neben dem originalen Exponat HW2 im Deutschen Museum ein weiteres HW2 Exponat nebst Startgestell der AG Daedalus Raketenflugplatz-Berlin dem interessierten Betrachter zur Verfügung. Auf unserer Internet-Seite wird die Entstehung der Nachbau-HW2 dokumentiert. Da das Projekt nicht zu unseren Hauptvorhaben zählt und auch privat finanziert werden muss, wird sich die Fertigstellung über einen längeren Zeitraum hinziehen. Dipl.-Ing. Klaus Schlingmann Oben: Für jedes Detail sind aufwendige Recherchen notwendig. Hier für die Erstellung der Holzform für die Tank-Kalotten. Rechts: Klaus Schlingmann beim Drechseln der hölzernen Halbkugel-Form für die Tanks der HW2. Die Tanks müssen mit den entsprechenden Öffnungen zur Aufnahme der Anschlüse versehen werden. Oben links: Das Entlüftungsventil der originalen HW2 von 1932. Links: Nachgefertigte Entlüftungsventile. Oben: Die Oberseite des Sauerstofftanks mit montiertem Befüllstutzen und Entlüftungsventilen.